Bernhard Peter
Galerie: Photos schöner alter Wappen Nr. 2388
Großenlüder (Landkreis Fulda)

Das stiftskapitularische Amtshaus in Großenlüder

Bei dem dreistöckigen Gebäude (Marktplatz 1) mit regelmäßig gesetzten Zwillingsfenstern in fünf Achsen auf der Breitseite und drei Achsen auf der Schmalseite handelt es um das Amtshaus des stiftskapitularischen Gerichts Lüder. Auf der Rückseite (Westseite) sind ein Treppenturm und daneben ein zweigeschossiger Anbau aus dem 18. Jh. vorgebaut. Es ist ein 1690 fertiggestellter Nachfolgebau eines 1570 errichteten Gerichtsgebäudes. Der Architekturstil ist typisch fuldische Spätrenaissance an der Schwelle zur Barockarchitektur. Der Baumeister war der Tiroler Mathias Huter. Der Ort Großenlüder am Westrand des Fuldaer Landes lag an einer alten Handelsstraße und besaß einst sogar drei heute völlig verschwundene bzw. in neuer Bebauung aufgegangene Burgen (Hinterburg, Vorder- oder Fröschburg und Niederburg). Der Ort gelangte um 900 in den Besitz des Stifts Fulda, welches auch das Patronatsrecht besaß. Zeitweise wurde der Ort an eine Familie verpfändet, die sich nach dem Ort von Lüder nannte. Die Einkünfte der Pfarrei wurden 1299 dem Kloster Blankenau inkorporiert. Danach wurde der Ort 1451 bzw. 1471 Besitz des Stiftskapitels, ab 1752 des Domkapitels Fulda (weil die Fürstabtei Fulda in jenem Jahr Fürstbistum wurde). Aus diesem Grund dominieren an den prägenden herrschaftlichen Bauten, dem Amtshaus und der Pfarrkirche, die Wappen der Stiftskapitulare. Beide sind imposante Gebäude, das eine für die religiöse Seite der Herrschaft, das andere für die weltliche Seite der Herrschaft, wo der Zentverweser (Vogt) seinen Sitz hatte, die Verwaltung organisierte und die Rechtsprechung ausübte. Nach der Säkularisation kam Großenlüder 1803 an das Fürstentum Nassau-Oranien-Fulda und wurde ein Amt im Fürstentum Fulda. 1806 stand das Fürstentum Fulda unter französischer Verwaltung; 1810 kam Großenlüder an das Großherzogtum Frankfurt, 1816 an das Kurfürstentum Hessen, zunächst zum Großherzogtum Fulda, ab 1821 zur Provinz Fulda, 1848 zum Bezirk Fulda und 1851 zum Landkreis Fulda zählend. 1867 wurde Großenlüder Teil der Provinz Hessen-Nassau des Königreiches Preußen. Das Amtshaus wurde 2001 umfassend renoviert und ist heute das schönste Gebäude in der Ortsmitte.

Während sonst an den öffentlichen Gebäuden im Stift Fulda die Wappen der Fürstäbte bzw. später der Fürstbischöfe dominieren, folgt der Eigenbesitz des Stiftskapitels einer eigenen heraldischen Ikonographie. Es werden die Wappen der Stiftskapitulare dargestellt, die zugleich einen Einblick in die Struktur des Stifts erlauben. Denn um das zentrale Stift mit dem Dom sind sowohl geographisch als auch organisatorisch die einzelnen Propsteien gruppiert, Klöster, die dem Stift unterstellt waren und durch jeweils einen Stiftskapitular verwaltet wurden. Der Propst war Kapitelmitglied, mußte den vorgegebenen päpstlichen Anforderungen entsprechen und bekam vom Fürstabt sowohl die komplette weltliche Gewalt als auch die Seelsorge übertragen. Sofern in der Propstei noch Mönche lebten, waren ihm diese gemäß der Benediktsregel zu Gehorsam verpflichtet. Im Gegenzug ist der Propst zum Schutz und Erhalt der Rechte und Besitzungen der Propstei verpflichtet. Dem Propst standen (ggf. mit Ausnahme der Eigeneinkünfte des Konvents bei Güterteilung) alle Einkünfte aus der Propstei als Versorgungspfründe zu. Diese Propsteien waren stets Gegenstand häufiger Rochaden bei Veränderungen im Kapitel; die Vergabe von Propsteien an bestimmte Personen bestimmte die Verhandlungen bei der Wahl eines neuen Fürstabtes. In der Regel gab der zum neuen Fürstabt gewählte seine bisherigen Propsteien ab. Bestimmte Propsteien waren an bestimmte Ämter wie das des Dekans gebunden (Neuenburg). Die wichtigsten Propsteien im Umfeld von Fulda waren die auf dem Petersberg, die Propstei Johannesberg, die Propstei Frauenberg, die Propstei Blankenau, die von Neuenberg (Andreasberg), die Propstei Thulba, die von Michaelsberg sowie die etwas weiter weg liegenden Propsteien von Holzkirchen westlich von Würzburg oder von Zella in der Rhön.

 

Das Schmuckportal an der Ostseite ist ein Werk von Johann Jakob Licht aus dem Jahr 1687. Ganz oben in der Mitte des dreieckigen Giebels befindet sich das größte der sieben Wappen. Es steht für Adalbert von Schleifras (18.2.1650-6.10.1714), der 1678 Aufnahme in das Fuldaer Stiftskapitel fand. Als das Amtshaus 1690 errichtet wurde, war er Propst von Neuenberg (1683-1700). Zuvor war er Propst von St. Michael (1679-1683) und Propst von Blankenau (1682-1683). Beide Ämter gab er auf, als er 1683 zum Dekan gewählt wurde, und statt der bisherigen Propsteien bekam er die Propstei Neuenberg. Als Dekan nimmt er die höchste Stellung im Domkapitel ein, deshalb ist sein Wappen hier an prominentester Stelle angebracht. Am 1.7.1700 wurde Adalbert von Schleifras zum Abt von Fulda gewählt, deshalb gab er zeitgleich diese Propstei wieder her. Das Wappen der von Schleifras ist gespalten, rechts in Gold eine rote, aufrecht gestellte Axt, Schneide nach hinten, links in Rot ein schwarzer, höhenverstellbarer Kesselhaken mit Zahnschiene, auf dem gekröntem Helm mit rot-goldenen Decken ein roter Flug mit goldenen Saxen.

 

Das auf der optisch rechten Seite ganz unten stehende, einzelne Wappen ist das der westfälischen Adelsfamilie Spiegel zum Desenberg, in Rot drei (2:1) hier blaue, sonst silbern dargestellte, golden eingefaßte runde Spiegel (Scheiben), auf dem gekrönten Helm mit rot-silbernen Decken ein roter (hier falsch silberner) Flug, beiderseits belegt mit drei (2:1) hier blauen, sonst silbern dargestellten, golden eingefaßten runden Spiegeln (Scheiben). Das Wappen wird beschrieben im Siebmacher Band: Pr Seite: 28 Tafel: 32, Band: BayA3 Seite: 196 Tafel: 142, Band: He Seite: 26 Tafel: 29, Band: Pr Seite: 386 Tafel: 434, Band: Brau Seite: 9 Tafel: 8, Band: Han Seite: 16 Tafel: 17, Band: PrGfN Seite: 22 Tafel: 17 und im Westfälischen Wappenbuch sowie bei Grote. Welcher Fuldaer Stiftskapitular sich genau hinter "H. v. Spiegel" verbirgt, muß noch geklärt werden.

 

Das auf der optisch linken Seite ganz unten stehende, einzelne Wappen ist das der von Riedheim, hier in Gold (Literatur: Silber) ein aufspringender schwarzer (naturfarbener) Esel, auf dem Helm mit schwarz-goldenen Decken der schwarze (naturfarbene) Esel wachsend. Das Wappen wird beschrieben im Siebmacher Siebmacher Band: Bay Seite: 53 Tafel: 55 und im Scheiblerschen Wappenbuch, Folio 39. Mit der Inschrift "E. V. RIDHEIM" ist Aemilian von Riedheim gemeint, Konventuale von Fulda, der 1688-1699 Propst der dem Kloster Fulda in allen geistlichen und weltlichen Belangen unterstehenden Propstei Blankenau (Hosenfeld) war. Das Bett, in dem er in der Nacht vom 18. zum 19. Januar 1699 bei einem Raubmord den Tod fand, ist im Heimatmuseum Blankenau zu besichtigen.

Das obere, optisch linke Wappen der von der Architektur paarweise zusammengefaßten Wappen der mittleren Zone beiderseits des Oberlichts verweist auf Bonifatius von Buseck (20.3.1628-21.3.1707), Konventuale von Fulda, der zur Bauzeit Propst in Johannesberg war (siehe Abb. unten links). Er hieß mit Taufnamen Johann Burkhard von Buseck und war der Sohn von Johann Ottmar von Buseck, Oberschultheiß in Fulda, und dessen erster Ehefrau Maria Magdalena von Rodenhausen. Bonifatius ist damit der Großonkel des späteren Fuldaer Fürstbischofs Amand von Buseck, welcher der Enkel von Bonifatius' Bruder Conrad Philipp von Buseck war, welcher den Eppelborner Zweig der Familie gründete. Bonifatius von Buseck wurde 1651 Fuldaer Stiftskapitular. Er wurde 1653 Propst des Klosters Michaelsberg, danach Propst in Johannesberg (1656-1700), und 1701 Propst zu Neuenberg und Dekan des Hochstifts Fulda, als der er 1702-1704 die Domdechanei in Fulda erbauen ließ, die ebenfalls sein Wappen mehrfach trägt, in Gold ein rot gezungter, schwarzer Widderkopf, die Hörner typischerweise golden (hier abweichend tingiert), auf dem Helm mit schwarz-goldenen Decken ein roter Flug, der beiderseits mit einem in drei Reihen geschachten Balken und darüber von einem dreilätzigen Turnierkragen belegt ist, wovon mehrere Farbvariationen beschrieben werden (typischerweise ist der Balken schwarz-silbern geschacht und der Turnierkragen golden), dazwischen Kopf und Hals eines schwarzen Widders; die Hörner können schwarz, rot oder golden sein. Die Helmzier ist hier nachlässig angestrichen worden und gibt nicht den Soll-Zustand wieder. Der Flug der Helmzier ist Zeichen der älteren, katholischen Linie von Buseck oder von Buseck zu Alten-Buseck; die jüngeren Linien führen nur den Widderrumpf als Helmzier.

 

Das Wappen gegenüber dem zuletzt beschriebenen (siehe Abb. oben rechts) ist das von Odo von Riedheim, Konventuale von Fulda, der zur Bauzeit Propst der dem Kloster Fulda unterstellten Propstei Petersberg war (1669-1690). Das ist eine knappe Jahreszahl; Baujahr und Lebenslauf überschneiden sich hier haarscharf; im Amt folgte ihm Philipp von Spiegel zu Desenberg (1691-1720), dessen Wappen den Innenraum von St. Lioba dominiert. Das Wappen der von Riedheim wurde bereits beschrieben, hier wäre nur noch die Fehlfarbigkeit der rechten Helmdecke zu erwähnen. Das Wappen des Odo von Riedheim ist weiterhin außen an dem Eingang in die Propstei Petersberg angebracht.

Das untere, optisch linke Wappen der von der Architektur paarweise zusammengefaßten Wappen der mittleren Zone beiderseits des Oberlichts (siehe Abb. oben links) zeigt das der von Harstall, in Rot ein silbernes aufrechtes Schwert mit goldenem Griff zwischen zwei silbernen Flügeln, wobei das Schwert eine abweichende Interpretation ist, die Darstellung ist meist die eines goldenen Zepters oder gestürzten Pilgerstabes; auf dem Helm mit rot-silbernen Decken zwischen einem silbern-rot übereck geteilten Flug hier eine nimbierte Taube (in der Literatur wird ein goldener Pilgerstab oder ein goldenes Zepter angegeben, welches oben in einem grünen Kranz endet, der die obersten Federn beider Seiten umschließt). Das Wappen wird beschrieben im Siebmacher Band: PrE Seite: 95 Tafel: 80, Band: PrGfN Seite: 10 Tafel: 7, Band: Sa Seite: 31 Tafel: 33 und Band: SchwA Seite: 12 Tafel: 8. Möglicherweise - ohne Beleg - handelt es sich um Wilhelm von Harstall, der später Propst von Zella wurde und 1739 starb.

Das Wappen gegenüber dem zuletzt beschriebenen ist das von Bonifaz von Ramstein (-7.3.1687), Konventuale von Fulda und 1677-1687, also vor der Bauzeit, Propst zu Thulba, unter dem in der zugehörigen Kirche 1682 der Hochaltar erneuert und die erste Orgel eingebaut wurde (siehe Abb. oben rechts). Das Wappen zeigt hier in Schwarz zwei schräggekreuzte silberne Lilienstäbe (Glevenstäbe) mit goldenen Stielen, auf dem Helm mit falsch eingefärbten Decken einen wachsenden menschlichen Rumpf mit Haarknoten. Bei den von Ramstein handelt es sich um eine Basler Familie, die sich in einen freiherrlichen und einen ritterlichen Zweig aufteilte, mit unterschiedlichen Wappen: Die Freiherren führten in Schwarz zwei schräggekreuzte silberne Lilienstäbe (Glevenstäbe), auf dem Helm mit blau-schwarzen Decken ein wachsender, blau mit schwarzen Kragenaufschlägen gekleideter Mannesrumpf, auf dem Kopf über einer silbernen Binde mit beiderseits abflatternden Tuchstreifen eine rote Spitzmütze, vorn drei Straußenfedern hinter die Binde gesteckt, in den Farben blau-rot-schwarz (Basler Wappenbuch, Basler Wappenkalender). Der ritterliche Zweig führte in Gold zwei schräggekreuzte rote Lilienstäbe (Glevenstäbe), auf dem Helm mit rot-goldenen Decken ein wachsender rotgekleideter, spitzbärtiger Mannesrumpf mit goldenem Judenhut (Basler Wappenbuch, Rietstap/Rolland). Für diesen Propst existiert in Thulba eine Grabplatte mit seinem Wappen an der südlichen Außenwand der Kirche.

Nach der Säkularisation wurde hier 1803 ein fürstlich-oranisches Gericht untergebracht. 1816 hielt hier die Verwaltung des kurhessischen Oberamtes Einzug. 1866-1973 war hier der Sitz des preußischen Amtsgerichts. Heute dient das ehemalige stiftskapitularische Amtshaus der Gemeinde: Im Erdgeschoß befinden sich das Trauzimmer, das Museumscafé und ein Mehrzweckraum; im Obergeschoß sind der Kultursaal, die Bücherei und das Heimatmuseum untergebracht. Ganz oben im zweiten Obergeschoß ist eine internationale Krippenausstellung.

Literatur, Links und Quellen:
Großenlüder: im Historischen Ortslexikon http://www.lagis-hessen.de/de/subjects/idrec/sn/ol/id/15367 - http://www.lagis-hessen.de/de/subjects/idrec/sn/ol/id/5850
Großenlüder:
https://www.grossenlueder.de/
Adalbert I. von Schleifras, in den Hessischen Biographien:
http://www.lagis-hessen.de/pnd/119473909
von Spiegel:
https://de.wikipedia.org/wiki/Spiegel_(westfälisches_Adelsgeschlecht)
von Riedheim:
https://de.wikipedia.org/wiki/Riedheim_(Adelsgeschlecht)
Pröpste von Blankenau:
https://de.wikipedia.org/wiki/Kloster_Blankenau#Die_Pr.C3.B6pste_von_Blankenau
Bonifatius von Buseck:
https://de.wikipedia.org/wiki/Bonifatius_von_Buseck
Wappenbuch der Stadt Basel. Unter den Auspizien der historischen u. antiquarischen Gesellschaft in Basel herausgegeben von W. R. Staehelin, Zeichnungen Carl Roschet et al., 3 Teile in mehreren Folgen, Basel
Carl Roschet, Basler Wappenkalender 1920, mit genealogischen Anmerkungen von W. R. Staehelin
Werner Meyer: von Ramstein, im Historischen Lexikon der Schweiz
http://www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D19604.php
Amtshaus:
https://www.grossenlueder.de/verzeichnis/visitenkarte.php?mandat=166879
Heimatmuseum:
https://www.grossenlueder.de/verzeichnis/objekt.php?mandat=169534
Krippensammlung:
https://www.grossenlueder.de/verzeichnis/objekt.php?mandat=166814
Norbert Langer: Großenlüder, Pfarrkirche St. Georg mit Filialkirchen und Amtshaus, Verlag Schnell und Steiner GmbH Regensburg, Kunstführer Nr. 2595, 1. Auflage 2005, ISBN 3-7954-6549-4

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