Bernhard Peter
Galerie: Photos schöner alter Wappen Nr. 2743
Scheer (Landkreis Sigmaringen)

Die Loreto-Kapelle in Scheer

Die Loretokapelle in Scheer befindet sich im Norden der Altstadt auf dem nördlichen Donauufer. Sie steht auf einer kleinen Anhöhe an der Straße nach Laucherthal (Binger Straße). Die Giebelfassade im Stil der Renaissance ist nach Südosten gerichtet. Am Südosteck ist ein Turm mit rundem Unterbau und polygonalem Oberteil an den Satteldachbau angesetzt. Die durch kräftige Horizontalgesimse und vertikale Wandvorlagen gegliederte Schmuckfassade besitzt im Erdgeschoß drei Arkaden, darüber eine fensterlose Wappenzone, gefolgt von drei Rundbogenfenstern. Der Giebelbereich besitzt ein großes Rundbogenfenster und fünf Figurennischen. Oben in der Mitte ist der Gekreuzigte zu sehen. In der kleinen Nische links daneben steht ein Bischof mit Krummstab und Mitra, in der linken Hand ein Buch mit drei Steinen darauf haltend, vermutlich der hl. Stephanus. In der anderen Nische steht ein Mönch mit Meßkelch in der Hand. In der Zone darunter steht links ein von drei Pfeilen getroffener Heiliger, vermutlich der hl. Sebastian, rechts ein bärtiger Heiliger mit Stab und Kind.

Diese Kapelle wurde 1628 von Wilhelm Heinrich Freiherr von Waldburg (26.1.1580-7.5.1652) gestiftet und 1628-1645 erbaut. Der Name erinnert an die Wallfahrtsstätte Loreto in den italienischen Marken bei Ancona, nach dem Petersdom der zweitwichtigste Wallfahrtsort in Italien. Dort steht die Basilika von Heiligen Haus (Santuario Basilica Pontificia della Santa Casa di Loreto), in der innerhalb einer Renaissance-Verkleidung das Haus der Heiligen Familie von Nazareth verehrt wird, also das Haus, in dem Maria aufwuchs und in dem sie die Verkündigung erfahren hat. Der Legende nach haben Engel das heilige Haus nach Italien geflogen. Nach diesem Vorbild entstanden in katholischen Ländern unzählige Loreto-Kapellen, die der Schutzherrschaft Unserer Lieben Frau von Loreto unterstellt und Ziel von Marienwallfahrten wurden. Nach dem Original heißen sie Loreto-Kapellen, üblich ist aber auch die eingedeutschte Version "Loretto-Kapelle". Sie entstanden ab dem 16. Jh., vielfach als Stiftungen adliger Pilger nach ihrer Rückkehr von einer Loretowallfahrt. In Süddeutschland verbreitete sich der Bau solcher Kapellen im 17. Jh. und war eine typische Erscheinung der Bewegung der Gegenreformation. Diese Kapelle in Scheer wurde während des Dreißigjährigen Krieges errichtet. Alle oberschwäbischen Linien des Hauses Waldburg blieben dem Katholizismus treu, sie definierten sich durch ihre klare Position für Kaiser und Reich. 1719 gibt es einen erstmaligen Hinweis auf eine Prozession, später fanden hier Wallfahrten statt. Zeitweise wurde das Gebäude von Eremiten bewohnt. Die Kapelle besitzt keinen Kirchturm, nur einen Dachreiter. An das Gebäude in Scheer wurde 1872 eine Sakristei angebaut. 1959 wurde die Kapelle renoviert. Das katholische Gotteshaus, das in Besitz der katholischen Lorettopflege Scheer ist, wird seit 1972 von der evangelischen Kirchengemeinde Mengen für Gottesdienste benutzt.

An der südöstlichen Giebelseite ist ein dreiteiliges Wappen mit Bauinschrift angebracht, die wie folgt lautet "GVILHELMVS HENRICVS S(ACRI) R(OMANI) I(MPERII) DAPIFER / HAEREDIT(ARIVS) B(ARO) IN WAL(D)BVRG D(OMINVS) SCHAERAE ET / TRAVCHBVRGI S(VAE) C(AESAREAE) M(AIESTATIS) CONSILIARIVS ET / CAMERARIVS SVO AERE AEDIFICAVIT" - Wilhelm Heinrich des heiligen römischen Reiches Erbtruchseß, Freiherr zu Waldburg, Herr von Scheer und Trauchburg, Seiner Kaiserlichen Majestät Rat und Kämmerer, hat es von seinem Geld erbaut“. In der Inschrift wird Wilhelm Heinrich noch als B(ARO) = Freiherr bezeichnet, noch im selben Jahr, am 27.9.1628, wurde er Graf von Waldburg. Er war außerdem Reichskammergerichtspräsident.

Die drei (1:2) Wappenkartuschen stehen für den Stifter und seine beiden Ehefrauen. Wilhelm Heinrich Freiherr von Waldburg (26.1.1580-7.5.1652) aus der älteren Jakobischen Linie, Sohn von Christoph Freiherr von Waldburg (24.8.1551-1612) und Anna Maria Gräfin von Fürstenberg-Heiligenberg (3.2.1562-2.10.1611), führt in Gold drei schwarze, rotgezungte, schreitende und hersehende Löwen übereinander; sein Wappen ist gewendet, vermutlich aus Courtoisie seiner zweiten Ehefrau gegenüber, obwohl das bei mittiger Anordnung nicht nötig gewesen wäre. Wilhelm Heinrich hatte in erster Ehe Juliana Gräfin von Sulz (12.11.1590-23.5.1617) geheiratet, die Tochter von Karl Ludwig Graf von Sulz (9.7.1560-29.9.1616) und Dorothea Katharina zu Sayn (16.5.1562-1609). Diese führt ihr Wappen geviert, Feld 1 und 4: von Silber und Rot mit hier drei Spitzen geteilt (Stammwappen Sulz), Feld 2 und 3: in Silber ein schrägrechtsgelegter schwarzer Brand (Wappen Brandis).

Wilhelm Heinrich hat in zweiter Ehe Anna Maria von Waldburg zu Wolfegg und Zeil (11.3.1597-14.10.1635) aus einer anderen Linie der Familie geheiratet; die Tochter von Heinrich Erbtruchseß von Waldburg Graf zu Wolfegg (8.3.1568-16.8.1637) und Maria Jakoba Gräfin von Hohenzollern-Sigmaringen (3.1.1577-18.3.1650). Ihr Wappen zeigt ebenfalls die drei Waldburger Löwen wie zuvor beschrieben. Über der Inschrift lugt ein Puttenkopf hervor; zwei weitere Putten dienen als Schildhalter bzw. Kartuschenhalter und füllen die Zwickel zwischen der oberen und den beiden unteren Kartuschen, beide strecken die angewinkelten inneren Beine in den Zwischenraum und stützen sie auf der Inschriftenkartusche auf.

 

Bei dieser Gelegenheit sei auch die notorisch angespannte finanzielle Lage der Herrschaft Scheer unter der Herrschaft der Jakobischen Linie erwähnt, die eine ganz bestimmte Ursache hatte: Gebhard von Waldburg-Trauchburg (10.11.1547-31.5.1601) war der Onkel des Bauherren dieser Loreto-Kapelle. Er war 1577-1583 Erzbischof von Köln und Kurfürst. Er trat zum Protestantismus über, heiratete 1582 Agnes Gräfin von Mansfeld und wollte das Erzstift säkularisieren und zum erblichen weltlichen Herzogtum erheben. Das Domkapitel war strikt dagegen und warf ihm Verletzung der Bestimmungen des Augsburger Religionsfriedens und damit - berechtigterweise - Rechtsbruch vor. Gebhard sah das nicht ein und wurde am 2.2.1583 abgesetzt, vom Kaiser seines Amtes als Kurfürst enthoben sowie am 1.4.1583 vom Papst exkommuniziert. Jede Seite suchte sich nun externe Verbündete, und es kam zum Truchsessischen Krieg (Kölner Krieg). Gebhard verlor, der Krieg war 1588 vorbei, und seine dem Katholizismus treue Familie bekam die Rechnung für das Handeln ihres schwarzen Schafes. Als Folge dieses mißglückten Versuchs waren die Truchsessen von Waldburg mit riesigen Schulden belastet, die erst 1785 durch den Verkauf der Grafschaft Friedberg-Scheer an das fürstliche Haus Thurn und Taxis vollständig abgetragen werden konnten. Um die erdrückenden Lasten durch die Schulden zu schultern und Steuern einzutreiben, regierten die Grafen von Waldburg ihre Untertanen mit oft harter Hand.

Jakobische Linie Waldburg-Friedberg-Scheer:

Literatur, Links und Quellen:
Lokalisierung auf Google Maps: https://www.google.de/maps/@48.0771852,9.2947017,18z - https://www.google.de/maps/@48.0773857,9.2945121,72m/data=!3m1!1e3
Loreto-Kapelle Scheer:
https://de.wikipedia.org/wiki/Loretokapelle_(Scheer)
Loreto in Italien:
https://de.wikipedia.org/wiki/Basilika_vom_Heiligen_Haus_in_Loreto
Gebhard von Waldburg:
https://de.wikipedia.org/wiki/Gebhard_I._von_Waldburg
Truchsessischer Krieg:
https://de.wikipedia.org/wiki/Truchsessischer_Krieg
Haus Waldburg:
https://de.wikipedia.org/wiki/Haus_Waldburg
Wolfgang Willig, Landadel-Schlösser in Baden-Württemberg, eine kulturhistorische Spurensuche, 1. Auflage 2010, ISBN 978-3-9813887-0-1, S. 446
Genealogien: Prof. Herbert Stoyan, Adel-digital, WW-Person auf CD, 10. Auflage 2007, Degener Verlag ISBN 978-3-7686-2515-9

Die Wappen der Truchsesse von Waldburg und der gräflichen und fürstlichen Linien

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