Bernhard Peter
Galerie: Photos schöner alter Wappen Nr. 2782
Riedlingen (Landkreis Biberach)

Das "Steinerne Haus", ein Stadthaus des Klosters Heiligkreuztal

In Riedlingen befindet sich mit dem "Steinernen Haus" das ehemalige Stadthaus des Zisterzienserinnen-Klosters Heiligkreuztal (Lange Str. 16). Bereits 1255 bekam das Kloster eine Immobilie in Riedlingen als Schenkung, und 1310 bekamen sie ein weiteres Haus von Hermann von Hornstein übereignet. Im Jahre 1328 ist in den Urkunden von einem "stainhus ze Ruodelingen" die Rede, welches dem Kloster gehörte, aber kaum identisch mit dem heutigen Haus sein dürfte. Die ältesten Gebäudeteile auf der Westseite sind Bestandteil der ersten Riedlinger Stadtmauer und daher könnte das Mauerwerk dort noch aus dem 13./14. Jh. stammen. Das dreistöckige Haus mit Satteldach und zwei Reihen Gauben stammt ursprünglich aus dem 15. Jh., aus dieser Zeit stammt der Staffelgiebel im Norden. Vielleicht erfolgte ein weiterer Umbau unter der baufreudige Äbtissin Veronika von Rietheim in der ersten Hälfte des 16. Jh.

Im Jahre 1769 wurde das Haus jedenfalls barockisiert. Die damalige Bauherrin war Äbtissin Maria Josepha de Vivier (24.2.1726-26.2.1795) von Kloster Heiligkreuztal, und dafür stehen die Initialen auf dem Schriftband: "M I A Z H + T", Maria Iosepha Äbtissin Zu Heilig+tal. In der kleinen monochromen Kartusche unter dem eigentlichen Wappen ist die Datierung in dreiviertelkreisförmig im Uhrzeigersinn umlaufenden römischen Zahlzeichen angebracht: MDCCLXIX = 1769.

Diese Äbtissin stammte aus Freiburg im Breisgau. Die Familie ist belgischen Ursprungs und stammte aus Lüttich. Die Familie wurde 1720 in den Adelsstand erhoben. Maria Josepha legte am 15.10.1747 die Profeß ab und wurde am 15.2.1761 zur Äbtissin gewählt. Eigentlich wollte sie gar nicht dieses Amt übernehmen. Vier Tage nach der Wahl legte sie den Eid ab. Die Benediktion erhielt sie am 16.8.1761 durch den Salemer Abt Anselm II. Schwab (lebte 9.1.1713-22.5.1778, amtierte als Abt 6.6.1746-1778), weil Salem die Paternität über die Frauenzisterze hatte. Ihm assistierten dabei die Stiftsdame Johanna von Buchau und die verwitwete Frau von Hornstein. Sie führte dieses Amt eigentlich die ganze Zeit gegen ihren Willen. Mehrfach bat sie um Resignation. Kurz nach ihrer Wahl hatte sie bereits den Vaterabt Anselm II. Schwab schriftlich gebeten, sie von ihrem Amt zu entbinden und nicht zu benedizieren, da sie sich für ungeeignet und unwürdig hielt, vergebens. Zehn Jahre später versuchte sie es wieder, auch der Versuch von 1771 war vergebens. Auch bei mehreren Anläufen in den 1780er Jahren bekam nie die Zustimmung des Vaterabtes und der österreichischen Behörden zu ihrer gewünschten Resignation. Sie amtierte als Äbtissin 1761-1793 als vorletzte Amtsinhaberin vor der Säkularisation.

Sie ließ nicht nur das Haus in Riedlingen erneuern, sondern auch im Kloster Heiligkreuztal einige Gebäude von Grund auf neu erbauen. Sie amtierte in einer Zeit, in der die umliegenden Fürsten nach dem Territorium der Klöster gierten und dazu alle Mittel ausprobierten. Eine ernste Bedrohung für Heiligkreuztal waren die Versuche des Fürsten Karl Anselm von Thurn und Taxis im Jahre 1788, die Klosterherrschaft zu kaufen und das Kloster aufzuheben, das konnte sie erfolgreich verhindern. Eine weitere Bedrohung bestand 1790 in der Idee, die Klöster in freiweltliche Damenstifte umzuwandeln, das konnte diese Äbtissin gemeinsam mit ihren Kolleginnen, der Zisterzienserin Edmunda von Kolb von Kloster Wald und der Benediktinerin Hildegard Reichlin von Meldegg von Urspring durch eine an Kaiser Leopold II. gerichtete gemeinsame Bittschrift verhindern. Am 21.10.1793 durfte sie schließlich resignieren, ihr Gesuch wurde vom Kaiser Franz II. selbst genehmigt und vom Salemer Abt Robert Schlecht (lebte 28.6.1740-3.3.1802, amtierte als Abt 1778-1802) angenommen. Damals war sie bereits schwer krebskrank und hatte nur noch ein und ein Viertel Jahr zu leben.

 

Ihr sandsteinernes Wappen schmückt die Fassade der Längsseite, wobei die gegenwärtige Farbfassung die Feldinhalte nicht korrekt differenziert. Es ist geviert mit Herzschild und sollte folgende Tinkturen besitzen: Hauptschild (de Vivier): Feld 1 und 4: gefeht mit schwarzen gestürzten und goldenen aufrechten Fellstücken (oder umgekehrt), Feld 2 und 3: in Blau ein oben bis zur Mitte verkürzter Schrägbalken, darüber schräg nach oben rechts ausgerichtet eine liegende gesichtete Mondsichel und drei (1:2) sechszackige Sterne (in vergleichbaren Darstellungen auch als Sporenräder dargestellt, also mit Loch), alle Figuren silbern, Herzschild mit einer eingebogenen Spitze gespalten, Feld 1 (rechts): in Gold drei liegende, eigentlich schwarze, hier fehlfarbige Hirschstangen übereinander (Grafen von Grüningen-Landau als Stifter des Klosters, später Grafen von Landau, schließlich Herren von Landau), Feld 2 (links): in Schwarz ein rot-silbern in zwei Reihen geschachter Schrägbalken, hier schräglinks (Zisterzienserbalken, hier gewendet), Feld 3 (Spitze): in Blau auf einem grünen Dreiberg ein goldenes Kreuz (Kloster Heiligkreuztal). Ein Helm mit einer ungewöhnlichen Zackenkrone oder "Heidenkrone" ruht auf dem oberen Schildrand, aber eine Helmzier fehlt, die können wir nur aus Vergleichsdarstellungen ableiten, es wäre auf dem gekrönten Helm mit rechts schwarz-goldenen und links silbern-blauen Decken eine liegende gesichtete silberne Mondsichel, darüber ein silberner Stern oder ein silbernes Sporenrad. Schrägrechts ragt hinter dem von einem Muschelwerkrand umgebenen und von zwei grünen Zweigen flankierten Wappenschild der Krummstab heraus, auf der anderen Seite das gestürzte Schwert.

Ein Vergleichswappen dieser Äbtissin ist im Kloster Heiligkreuztal zu finden, ein weiteres auf der Äbtissinnentafel von 1738 im Kloster Wald, wo ihre Schwester Maria Josepha (Geburtsname: Maria Clara) de Vivier (13.3.1715-18.3.1789) Konventualin war. Eine weitere Schwester war Äbtissin von Gutenzell, alle drei Zisterzienserinnen. Ein weiteres Wappen dieser Äbtissin war am Heiligkreuztaler Klosterhof in Markdorf angebracht (2014 abgebrannt, Verbleib des Steines unklar), auf 1773 datiert und mit etwas anderem Aufbau, geviert mit Herzschild, Feld 1: Zisterzienserbalken, Feld 2: Feh, Feld 3: Schrägbalken, Mond und Sterne, Feld 4: Landau, Herzschild: Heiligkreuztal, Kreuz auf Dreiberg.

 

Im 18. Jh. wohnte in dem Haus die Bildhauerfamilie Kazenmayer. Nach der Säkularisierung wurde das Haus 1805 an Privateigentümer verkauft. Der Südgiebel stürzte 1872 ein und wurde erneuert, daher fehlt dort die Treppenform des Giebels. Die illusionistische Fassadenmalerei mit Szenen aus der Geschichte der Stadt und des Reiches erhielt das Haus im Jahre 1910-1911. Im einzelnen zeigen die Szenen im ersten Obergeschoß auf der Längsseite 1.) links die Gründung des Deutschen Reiches 1871 mit den Protagonisten Kaiser Wilhelm I., Bismarck als Reichskanzler, Moltke als Generalfeldmarschall, dem späteren Kaiser Friedrich III., mit Reichsadler, Germania und der Burg Hohenzollern bei Hechingen im Hintergrund, 2.) in der Mitte Kaiser Wilhelm II. in Berlin, vor dem Reichstagsgebäude und in die Parade-Uniform der Gardes du Corps gekleidet, und 3.) rechts die Initialen der Hausbesitzer, Oskar Bartholomä und seine Frau Anna, dazu die Signatur des Malers Karl Mullinger 1911. Die Szenen im zweiten Obergeschoß der Längsseite zeigen 1.) links und in der Mitte die Erstürmung des Bussen 1633 im Dreißigjährigen Krieg und die Zerstörung durch die schwedischen und württembergischen Truppen sowie 2.) rechts die Einverleibung der Stadt Riedlingen in das neu geschaffene Königreich Württemberg im Jahre 1806. Weitere Szenen befinden sich auf der Giebelseite (Abb. ganz unten).

Ebenfalls finden wir an der straßenseitigen Giebelfassade das Riedlinger Stadtwappen, nach Befund gespalten, rechts in Rot zwei schräggekreuzte Ruder, links in Gold ein schwarzer Löwe. Heute wird das Wappen anders geführt, gespalten, rechts in Rot ein silberner Balken, überdeckt von zwei schräggekreuzten goldenen Rudern, links in Gold ein roter Löwe. Der Löwe ist das Stammwappen der Habsburger, das Wappen des Erzherzogtums Österreich bildet seit dem 16. Jh. den Hintergrund für die Ruder, ein redendes Element, denn ein alter Name der Stadt war Rudelingen. Riedlingen gehörte 1291-1805 zu Österreich. Diese Malerei weicht hinsichtlich des fehlenden erzherzoglichen Balkens und der Farbe des Löwen vom heutigen Stadtwappen ab.

Literatur, Links und Quellen:
Lokalisierung auf Google Maps: https://www.google.de/maps/@48.1530193,9.4742632,20z - https://www.google.de/maps/@48.1530149,9.4742417,35m/data=!3m1!1e3
am Haus angebrachte Hinweistafeln
Äbtissin Maria Josepha de Vivier im Zisterzienserlexikon:
http://www.zisterzienserlexikon.de/wiki/Vivier,_Josepha
Paul A. Beck: Reihenfolge der Äbtissinnen des Cistercienserinnenklosters Heiligkreuzthal Ravensburg, in: Schwäbisches Archiv: Organ für Geschichte, Altertumskunde, Literatur, Kunst und Kultur Schwabens 29, Ravensburg 1911, S. 28-29
Karl Werner Steim: Von der Aufklärung zur Aufhebung: Das Ende des Klosters Heiligkreuztal, in: Heimatkundliche Blätter für den Kreis Biberach, Sonderheft 2005, Biberacher Verlagsdruckerei, Biberach 2005
Kloster Heiligkreuztal: Geistliche Frauen im Mittelalter, hrsg. von: Staatliche Schlösser und Gärten Baden Württemberg, Nünnerich-Asmus, 1. Auflage 2020), 300 S., ISBN-10: 3961761361, ISBN-13: 978-3961761364
Winfried Aßfalg: Ehemaliges Stadthaus des Klosters Heiligkreuztal:
http://www.riedlingen.de/5727010.html

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