Bernhard
Peter
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Photos schöner alter Wappen Nr. 3211
Oestrich-Winkel (Rheingau-Taunus-Kreis)
Die Pfarrkirche St. Walburga im Stadtteil Winkel
Die katholische Pfarrkirche St. Walburga hat eine lange und bewegte Geschichte und Baugeschichte. Der älteste erhaltene Teil ist der untere Teil des Turmes an der Nordseite; die Biforienfenster gehören der Romanik des 12. Jh. an. Er gehörte damit schon zu einer bereits bestehenden älteren Kirche oder Kapelle und wurde als einziges übernommen, als in der Zeit der Spätgotik selbige einem kompletten Neubau weichen mußten. Dieser zweite Kirchenbau hatte noch nicht die Dimensionen der heutigen Kirche; der Chor war kleiner, und im Westen reichte das Langhaus nur bis zum Friedhofszugang. Von dieser Kirche sind noch die gotischen Portale erhalten, auf die man hinter dem südlich vorgebauten Portikus stößt. Die Kirche in Winkel wurde 1220 zur Pfarrkirche erhoben.
Zu einem kompletten Umbau kam es 1675-1681 wegen zunehmender Schäden an der spätgotischen Bausubstanz. Zuerst wurde der Chor komplett neu errichtet, größer als Vorher. Das Langhaus wurde nach Westen verlängert und nach Norden erweitert, wobei der bisherige Friedhofszugang überbaut wurde. Chor und Langhaus erhielten neue hohe Rundbogenfenster und neue Türen. Während man im Chor mit einem zweijochigen Gewölbe mit 3/8-Abschluß noch die Erinnerung an die gotischen Formen wachhielt, bekam das Langhaus eine hölzerne Kassettendecke. In einer vierten Bauphase erhöhte man den nun als zu niedrig empfundenen romanischen Turm im Jahre 1717. Dabei gab man ihm eine geschweifte Haube mit Laterne als oberen Abschluß. Auch der polygonale Treppenturm auf der Nordseite wurde in der Barockzeit angesetzt. Auch die komplette Ausstattung wurde barockisiert. Wenn wir in der heutigen Kirche auf Spurensuche gehen, entdecken wir aus der Zeit der Romanik den unteren Teil des Turmes und aus der Zeit der Spätgotik das Mauerwerk der Südwand und ein reich profiliertes, gestäbtes Spitzbogenportal im Westen. Der südwestliche Treppenturm stammt von 1523, und der südöstliche Treppenturm stammt von 1544. Das neue Hauptportal der Südseite stammt von 1677, der Portikus von 1681. Im Westen gibt es eine steinerne Empore, die im 19. Jh. nach Osten vergrößert wurde.
Über dem zweiten, östlichen Portikus der Südseite ist das Wappen der Herren von Greiffenclau-Vollrads angebracht; der Schild ist geviert: Feld 1 und 4: Greiffenclau-Vollrads, silbern-blau geteilt, darüber ein goldenes Glevenrad, Feld 2 und 3: Ippelbrunn = Eppelborn, in Schwarz ein silberner Schräglinksbalken). Die Herren von Greiffenclau-Vollrads besaßen hier das Kirchenpatronat. Bei der 1675 wegen zunehmender Baufälligkeit der gotischen Kirche dringend notwendig gewordenen Renovierung spielten sie als Patronatsherren eine wichtige Rolle. Dennoch war die finanzielle Zuständigkeit für die Baukosten Streitgegenstand, denn die Herren von Greiffenclau-Vollrads verwiesen darauf, daß für die Renovierung eigentlich das Stift St. Victor in Mainz zuständig sei. Daß sie wegen der Dringlichkeit des Zustandes mit der Renovierung anfingen, beginnend im Chor, bedeutete nicht automatisch, daß sie bereit waren, die Kosten zu übernehmen. Vielmehr gingen sie vor Gericht und erwirkten dort, daß die Kosten für die Renovierung vom Stift St. Victor zu tragen waren.
Im Kirchenschiff befinden sich innen vier Nischen mit weiblichen Heiligenfiguren vom Ende des 17. Jh. und Anfang des 18. Jh., die am Sockel mit Stifterwappen versehen sind. An der Figur der St. Elisabeth an der Nordseite sehen wir die Kombination der Wappen Greiffenclau-Vollraths (wie oben) und Sickingen (in Schwarz 5 (2:1:2) silberne Kugeln). Das paßt zu Johann Erwein Freiherr von Greiffenclau-Vollrads (1663-1727), Burggraf zu Friedberg, Herr zu Gundheim, kurmainzischer Geheimrat und Erbtruchseß, kaiserlicher Reichshofrat, Ritterhauptmann des Kantons Wetterau, Rat und Vicedom im Rheingau, und seiner ersten Ehefrau, Anna Lioba Freiin zu Sickingen (1666-12.9.1704). Der Ehemann war der Sohn von Georg Philipp Freiherr von Greiffenclau-Vollrads (20.8.1620-6.7.1689) und dessen zweiter Frau, Anna Margaretha von Buseck (-8.12.1696); die Ehefrau war die Tochter von Franz Freiherr von Sickingen (8.2.1629-1715) und Anna Margarethe Gräfin von Metternich-Winneburg und Beilstein (-1700). Aus dieser ersten Ehe des Johann Erwein entstammen u. a. der Würzburger Fürstbischof Carl Philipp Heinrich von Greiffenclau-Vollrads Fürstbischof von Würzburg (1.12.1690-25.11.1754), der Bamberger und Würzburger Domherr und Comburger Kanoniker Franz Erwein Ferdinand von Greiffenclau-Vollrads (8.4.1693-16.4.1720) und Lothar Godfried Heinrich Freiherr von Greiffenclau-Vollrads (1694-23.9.1771), Herr zu Gundheim, Gereuth, Memmelsdorf, Reckendorf, Braunsbach und Gross-Esslingen, kaiserlicher wirklicher Geheimrat, kurmainzischer und fürstbischöflich-würzburgischer Geheimrat, Oberhofmeister zu Würzburg, Ritterrat des Kantons Baunach, Oberamtmann zu Dettelbach und Werneck. Die gleiche Wappenkombination ist an Schloß Vollrads über der Tür des Westflügels.
An der Figur der St. Barbara auf der Südseite des Langhauses sehen wir die Kombination der Wappen Greiffenclau-Vollrads (geviert: Feld 1 und 4: Greiffenclau-Vollrads, silbern-blau geteilt, darüber ein goldenes Glevenrad, Feld 2 und 3: Ippelbrunn = Eppelborn, in Schwarz ein silberner Schräglinksbalken) und Kottwitz von Aulenbach (in Silber ein silbern-schwarz geteiltes Bockshorn). Die gleiche Wappenkombination ist auch am Sockel der St. Katharina angebracht, ebenfalls auf der Südseite. Die gleiche Wappenkombination ist auch an Schloß Vollrads in einem Zwerchgiebel der Wirtschaftsgebäude angebracht, ebenso am barocken Gebäude, in dem heute das Restaurant eingerichtet ist. Das paßt zu dem oben genannten Johann Erwein Freiherr von Greiffenclau-Vollrads (1663-1727) und seiner zweiten Ehefrau, der in Mainz am 8.2.1705 geehelichten Maria Catharina Freiin Kottwitz von Aulenbach (-24.10.1715), der Tochter von Johann Friedrich Freiherr Kottwitz von Aulenbach und Anna Beatrix von Reinach. Aus dieser zweiten Ehe des Johann Erwein entstammt Johann Philipp Joseph Ignaz von Greiffenclau-Vollrads (17.5.1706-21.10.1715), der die Familie aber nicht fortsetzte. Doch damit nicht genug, Johann Erwein sollte noch zweimal heiraten, in dritter Ehe Maria Anna Magdalena Gräfin Waldbott von Bassenheim (-5.3.1719) und in vierter Ehe Maria Dorothea Freiin von Franckenstein (-9.1.1756), die ihn dann lange überlebte. Aus dieser letzten Ehe entstammen der Wormser, Mainzer und Würzburger Domherr Damian Hugo Casimir Friedrich von Greiffenclau-Vollrads (5.6.1723-11.3.1786), der Würzburger Domherr Philipp Ernst Marsil Ferdinand von Greiffenclau-Vollrads (30.6.1724-), der Speyerer Domherr Franz Carl Philipp Anton von Greiffenclau-Vollrads (1726-8.12.1787) und der kurmainzische Kammerherr, Hof- und Regierungsrat, Ritterhauptmann des Kantons Wetterau, Adolf Wilhelm Franz Freiherr von Greiffenclau-Vollrads (1727-25.5.1763), der aufgrund seiner Heirat am 16.4.1759 eine Namens- und Wappenvereinigung mit den Frey von Dehrn vornahm.
An dem Altar der Schmerzhaften Mutter vom Ende des 17. Jh. an der Nordwand des Langhauses mit einer Darstellung der Pietà ist ein modernes Wappen. Auch wenn die Geschichte von Oestrich-Winkel untrennbar mit den Mainzer Fürstbischöfen verbunden ist, gehört dieses Wappen jedoch zu einem ganz anderen Bistum, nämlich Limburg. Wir sehen das Wappen des Limburger Bischofs Ferdinand Dirichs (24.11.1894-27.12.1948, amtierte 1947-1948), das aufgrund seiner kurzen Amtszeit höchst selten zu finden ist. Der Schild zeigt in Blau einen erniedrigten silbernen Wellenbalken (nach anderen Darstellungen eine silberne Drillings-Wellenleiste), rechts oben überhöht von einem silbernen Tatzenkreuz. Dazu wird im hier vorliegenden Fall eine silberne, rot verzierte Mitra, ein schrägrechts gelegter Krummstab und ein schräglinks gelegtes Prozessionskreuz geführt, über allem ein Galero mit beiderseits je 6 (1:2:3) Fiocchi. Nach der üblichen Farbcodierung katholischer Bischöfe müßten Galero und Fiocchi grün sein, das ist hier nicht der Fall, hier sind in der aktuellen Farbfassung der Galero unüblich schwarz, die Knotenschnüre rot und die Fiocchi golden. Die Devise lautet UT VITAM HABEANT - damit sie das Leben haben.
Der aus Frankfurt stammende Sohn eines Schneidermeisters wurde nach dem Studium der Theologie an der Universität Freiburg am 23.12.1922 zum Priester geweiht. Ferdinand Dirichs war zunächst für 3 Jahre Kaplan in Montabaur, dann für 5 Jahre in der Dreifaltigkeitskirche in Wiesbaden. 1931 kam er als Subregens an das Priesterseminar in Limburg. 1937-1940 war er Diözesan-Jugendpräses und Jugendseelsorger in Limburg. 1940 übernahm er die Pfarrei in Winkel, was seinen besonderen Bezug zu dieser Kirche erklärt. Papst Pius XII. ernannte ihn nach 25jähriger Priesterzeit am 24.9.1947 zum neuen Bischof von Limburg; die Bischofsweihe erhielt er am 21.11.1947 von Joseph Kardinal Frings. Außerdem wurde er päpstlicher Beauftragter für die Seelsorge der Heimatvertriebenen. Lange hatte das Bistum nicht an dem Hoffnungsträger, denn der beliebte und populäre Bischof starb im Folgejahr seiner Ernennung im Alter von erst 54 Jahren bei einem Autounfall nahe Idstein, als sein Auto von der Autobahn abkam und in der Böschung endete. An diesem Altar sind noch drei Bilder zu sehen, welche von links nach rechts darstellen: 1.) der hl. Rabanus Maurus, wie er im Jahre 850 Winkeler Bürger durch Speisung aus seinen Vorräten während einer Hungersnot vor dem Tod errettete (sein Denkmal steht auf dem südlichen Vorplatz vor der Kirche), 2.) der hl. Nikolaus als Schutzpatron der Schiffer und 3.) der hl. Wendelin als Schutzpatron der Landwirte.
Noch ein Wappen gibt es außen an der Kirche an der Vorhalle, die auf das Jahr 1681 datiert ist ("ZVR EHR / GOTTES ERBAVT // 16 / 81"). Im Segmentbogengiebel ist ein Allianzwappen eingepaßt des Typs, daß beide Schilde unter der Helmzier des Hauptwappens zusammengestellt werden. Weder die korrekten Tinkturen noch die Namensträger sind bekannt; von der Aufmachung her sind es typisch bürgerliche Wappen (Hinweise auf die Identität willkommen). Das heraldisch rechte Wappen zeigt unter einem geöffneten, mit der Öffnung nach unten gelegten Greifzirkel ein Andreaskreuzchen über einem gestielten Kleeblatt, der Zirkel oben beseitet von zwei sechszackigen Sternen, auf dem Helm ein beiderseits mit einem gestielten Kleeblatt belegter Flug. Der nachgeordnete Schild trägt eine Hausmarke, bestehend aus einem Vierkopfschaft, das freie Ende gekreuzt, der eingebogene Sparrenfuß verschränkt mit einem eingebogenen Sturzsparren.
Literatur,
Links und Quellen:
Lokalisierung auf Google Maps:
https://www.google.de/maps/@49.9988963,8.0086625,20z?entry=ttu - https://www.google.de/maps/@49.9988963,8.0086625,81m/data=!3m1!1e3?entry=ttu
Pfarrei Winkel: https://winkel.bistumlimburg.de/ - Kirche St. Walburga: https://winkel.bistumlimburg.de/kirche-st-walburga - Pfarrteam: https://peterundpaul-rheingau.de/kontakte/pfarrbueros
von Greiffenclau auf Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Greiffenclau
von Sickingen auf Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Sickingen_(Adelsgeschlecht)
Kottwitz von Aulenbach auf Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Kottwitz_von_Aulenbach
Ferdinand Dirichs in der Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Ferdinand_Dirichs
Ferdinand Dirichs auf Catholic Hierarchy: https://www.catholic-hierarchy.org/bishop/bdirichs.html
Ferdinand Dirichs im Munzinger-Register: https://www.munzinger.de/register/portrait/biographien/Ferdinand%20Dirichs/00/1267
Artikel in der Frankfurter Neuen Presse vom 27.12.2018:
"Erinnerung an das jähe Ende des "Bischofs der
Hoffnung" vor 70 Jahren": https://www.fnp.de/lokales/limburg-weilburg/limburg-ort511172/erinnerung-jaehe-ende-bischofs-hoffnung-ferdinand-dirichs-jahren-10917953.html
Dagmar Söder: Denkmaltopographie Bundesrepublik Deutschland,
Kulturdenkmäler in Hessen, Rheingau-Taunus-Kreis I.2., Altkreis
Rheingau, hrsg. vom Landesamt für Denkmalpflege Hessen, Theiss
Verlag, 2014, ISBN: 978-3-8062-29875, S. 849-850
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