Bernhard Peter
Die Farbregel in der Heraldik

Gute heraldische Praxis: Die Farbregel
In der Wappenmalerei soll immer Farbe auf Metall oder Metall auf Farbe stehen, niemals zwei Farben oder zwei Metalle aufeinander und möglichst auch nicht nebeneinander. Der Grund dafür ist, daß der maximal mögliche Kontrast bei echten Waffen zur Erkennung auf Entfernung notwendig ist. Vielleicht mag man nicht sofort einsehen, wie wichtig der Kontrast ist, auch wenn es nur um ein paar Balken oder Pfähle geht. Das sehen wir vielleicht besser ein, wenn wir die paar Balken und Pfähle zu Buchstaben kombinieren und als Vorüberlegung ein Experiment mit Schrift machen: Wir kombinieren alle in der Heraldik "erlaubten" Farben als Schrift und Hintergrund miteinander und erhalten folgende Tabelle:

Welche Kombination ist gut lesbar? Ein paar Kombinationen fliegen sofort raus, z. B. blau-schwarz oder silbern-gold. Dann gehen wir ein Stück vom Bildschirm nach hinten weg. Welche Kombinationen sind jetzt noch gut lesbar? Wir streichen alles weg, was nicht überzeugt. Was bleibt übrig?

Wir haben in der zweiten Tabelle alles weggestrichen, was auf größere Entfernung schlecht lesbar ist und die Augen verwirrt. Was übrig bleibt, ist entweder Gold oder Silber auf entweder Rot, Blau, Schwarz oder Grün bzw. eine umgekehrte Kombination. Gold und Silber untereinander wirkt schlecht, und Rot, Blau, Schwarz oder Grün untereinander überzeugt ebenfalls nicht. Nichts anderes besagt die Farbregel: Verwende keine Kombination, die einen schlechten Kontrast hat! Und genau das übertragen wir jetzt auf Wappen.

Der Leitgedanke ist immer der Kontrastreichtum! Es war wichtig, auf möglichst große Entfernung die heraldischen Zeichen "lesen" zu können. Die Farbregel gilt für alle Teile des Wappens, für die Helmzier genauso wie für den Schild.

Enge und weite Auslegungen
Diese Farbregel wurde in der frühen Heraldik wesentlich lockerer gehandhabt als später. Es sind einige "mißfarbene" Wappen aus dem Mittelalter bekannt, und auch im "alten Siebmacher" finden sich Abbildungen, die gegen die Farbregel verstoßen. Und in Conrad Grünenbergs Wappenbuch sind wunderschöne Wappen, die aber einen Kompromiß hinsichtlich der Farbregel beinhalten. Der Vatikan und das Wappen der Könige von Jerusalem sind die bekanntesten Beispiele für einen Verstoß gegen die Farbregel. Diese historischen Beispiele sollten uns aber heute nicht verleiten, den Leitgedanken des Kontrastreichtums aufzuweichen, sie sollen nur belegen, daß die Farbregel in früherer Zeit nicht immer mit Ausschließlichkeit beachtet wurde. Daß die überwiegende Masse der Wappen allerdings die Farbregel befolgt, belegt trotz der Ausnahmen den prinzipiellen Konsens in dieser Frage.

Königreich Jerusalem, in Silber ein goldenes Krückenkreuz, bewinkelt von vier goldenen Kreuzchen.

Zu jeder Zeit hat es Menschen gegeben, die die Farbregel verschieden streng ausgelegt haben. Und zu allen Zeiten wurde gegen Regeln verstoßen, das tue ich mindestens 10x pro Woche im Straßenverkehr. Dadurch werden die "Verstöße" hier wie dort jedoch weder besser noch richtungsweisender. Und auch wenn ich 10x dagegen verstoße, werde ich nie öffenlich äußern, daß innerorts 90 km/h erlaubt sind. Ich bin mir durchaus bewußt, daß es falsch ist. Und genausowenig werde ich jemals öffentlich äußern, daß silberne an goldene Flächen stoßen dürfen oder gar silberne gemeine Figuren auf goldenem Feld liegen dürfen, obwohl Beispiele dafür bekannt sind. Deshalb stellt das vereinzelte Auftreten von nicht der Farbregel entsprechenden Wappen keineswegs den grundsätzlichen Konsens der Herolde und später der Heraldiker in dieser Hinsicht in Frage.

Bei all diesen Überlegungen sollte auch bedacht werden, daß in geschichtlicher Zeit die Einhaltung der Farbregel bei der Begegnung von Wappenträgern bzw. Wappenkennern durchaus anerkannt wurde, während Verstöße den Träger nicht gerade im gesellschaftlichen Ansehen steigen ließen, wenn es nicht einen plausiblen Grund dafür gab. Und es gibt weiterhin Beispiele, wo ein bürgerliches Wappen, das nicht der Farbregel entsprach, bei einer Wappenbesserung, z. B. anläßlich einer Adelserhebung, in dieser Hinsicht richtiggestellt wurde. Auch das zeigt den grundsätzlichen Konsens.

Heutige Wappenstiftungen - liebe Wappenstifter in spe...
Ich möchte nachdrücklich davor warnen, immer die Ausnahmen heranzuziehen, um einen beabsichtigten Regelverstoß zu legitimieren. Das ist besonders beliebt bei einer gewissen Sorte von Mit-dem-Kopf-durch-die-Wand-Wappenstiftern, die ganze Wappenbücher wälzen, um ein Beispiel für ihre eigene beabsichtigte Tat zu finden - und dann, heureka: Da ist der Beweis, es geht doch! Mitnichten. Es kam vor, geschenkt. Man findet immer ein Belegbeispiel für alles, was man beweisen möchte, wenn man nur lange genug sucht. Es kommt immer vor, daß sich jemand nicht an die Regeln hält, siehe Straßenverkehr. Wie jede menschliche Tätigkeit erzeugt auch die Heraldik eine Bandbreite an Ergebnissen. Doch gibt es nicht zu denken, daß all die anderen, überblätterten Wappen richtig sind? Daß man suchen muß, um einen Beleg für einen Fehler zu finden, daß man andererseits ein altes Wappenbuch nur einmal aufzuschlagen braucht, um viele richtige zu finden? Wer sagt denn, daß die Zeitgenossen dieses eine gefundene Beleg-Wappen damals gut fanden? Oder haben schon die Herolde damals hinter vorgehaltener Hand geraunt: "Dieser Typ, immer muß er aus dem Rahmen fallen, immer unangenehm auffallen....."? Liebe Wappenstifter in spe, selbst wenn Sie das immer noch nicht einsehen, denken Sie doch bitte einfach ganz praktisch und zielorientiert: Wollen Sie Ihr Wappen eingetragen bekommen oder nicht? Ja? Dann akzeptieren Sie doch bitte einfach, was die Heraldiker der Wappenrolle Ihres Vertrauens aus gutem Grund für angemessen halten.

Gute heraldische Praxis: Überlegungen im Grenzbereich
Häufig ist die Schildeinteilung so, daß das nicht uneingeschränkt möglich ist. Das ist immer der Fall, wenn drei Farbflächen aneinanderstoßen. Dann gilt die Regel: Die Aufeinanderfolge von 2 Farben oder 2 Metallen ist unbedingt zu vermeiden, während das Nebeneinander nicht so schlimm ist. Viele Heroldsbilder lassen die Anwendung der Farbregel nicht zu: z. B. Gespalten und halbgeteilt, halbgespalten und geteilt, Göpelschnitt, Deichselschnitt.

Die Farbregel und ihre Auslegung spaltet immer wieder Heraldikinteressierte und bietet reichlich Zündstoff für "Glaubenskriege". Die einen pochen auf buchstabengetreue Einhaltung, die anderen sehen die Gesamtwirkung, für wiederum andere sind das "nur so allgemeine Richtlinien". Wir sollten deshalb einen vernünftigen Ansatz überlegen:

Wenn wir Kreuzungspunkte im Wappen haben, an denen eine gerade Anzahl Linien (bzw. Flächen) aneinander stoßen, gibt es keine Probleme, und wir können die Farbregel wörtlich anwenden. Möglichen Problemen geht man aus dem Weg, wenn man beim Entwurf schon darauf achtet.

Wenn wir aber Kreuzungspunkte im Wappen haben, an denen eine ungerade Anzahl Linien (bzw. Flächen) aneinander stoßen, dann ist es nicht möglich, die Flächen gemäß der Farbregel zu tingieren (das ist zwar nicht ganz richtig, denn es gäbe einen "legalen" Ausweg: 1x Farbe, 1x Metall, 1x Pelzwerk, denn Pelzwerk kann man sowohl als auch kombinieren. Das ist ein anderes Thema, daher diskutieren wir hier nur Farbe und Metall).

Besonders gerne wird auch ein Heroldsbild mit einer gemeinen Figur belegt. Beispiel: Ein gespaltener Schild wird mit einem Adler belegt. Dadurch haben wir Kreuzungspunkte mit drei Linien. Die reine Lehre würde sagen: Spalten wir auch den Adler, dann haben wir Kreuzungen mit je vier Linien und keine Probleme. Was, wenn wir aber einen ganzen Adler wollen? Dann gilt die Regel: Die Aufeinanderfolge von 2 Farben oder 2 Metallen ist unbedingt zu vermeiden, während das Nebeneinander nicht so schlimm ist. Also wäre es schlimmer, einen halben Adler in Farbe auf ein halbes Feld in Farbe zu legen, als den Schild in zwei Farben oder in zwei Metalle zu spalten. Warum diese Unterscheidung von Aufeinander und Nebeneinander?

Es sollte immer der bessere Kompromiß geschlossen werden, nämlich der mit der kürzeren "Verstoßgrenze". Selten ist ein Wappen so aufgebaut, daß mehrere Varianten möglicher Tingierungen die gleiche Länge der Grenze zwischen Farbe/Farbe oder Metall/Metall ergeben. Es sollte immer so tingiert werden, daß die kürzeste "Problemgrenze" entsteht. Ich finde, man sollte als Maß zur Beurteilung komplexer Wappen einfach die Länge der "Verstoßgrenze" zur Länge der "Nichtverstoßgrenze" ins Verhältnis setzen. Und da sollte jeder seine ganz persönliche Schmerzgrenze finden, der eine akzeptiert noch 5%, der andere schreit erst bei 10% auf. Und so betrachtet kommen die historischen Beispiele, wie sie sich beispielsweise in Conrad Grünenbergs Wappenbuch finden, besser weg als so manches moderne Wappen.

Die Abbildung in der Mitte ist die "feige" Variante unter Spaltung des Adlers und strikter Einhaltung der Farbregel (Nebenteile wie Klauen und Zunge zählen nicht). Die beiden äußeren Abbildungen haben jeweils eine kurze Strecke, wo zwei Metalle (linke Abb.) bzw. zwei Farben (rechte Abb.) nebeneinander zu liegen kommen. Der größte Teil der Grenzen, nämlich der gesamte Außenumriß des Adlers, ist in der linken Abb. heraldisch korrekt und folgt der Farbregel. In der rechten Abbildung gilt dies ebenfalls, mit Ausnahme der Nebenteile, Schnabel, Zunge, Klauen. Aber die zählen bei diesen Überlegungen eher weniger. Der Anteil der Verstoßgrenze liegt bei den äußeren Beispielen bei ca. 5-10%, das ist noch vertretbar.

Bei diesen Tingierungsbeispielen ist es umgekehrt: Das Nebeneinander beim gespaltenen Schild folgt überall der Farbregel, aber nicht das Aufeinander von Adler zu Feld. Überall ist der halbe Adlerumriß Problemzone! Das ist eine untragbar lange Strecke unter Verletzung der Farbregel, keines der Beispiele ist akzeptabel, denn die Verstoßgrenze liegt in jedem Beispiel bei 40-45%! Gemessen daran ist die kurze Strecke der Spaltung unerheblich.

Nebenteile
Für Nebenteile von Wappenbildern wie Klauen, Schnäbel oder Zungen von Tieren, kleinere Kleidungsstücke von dargestellten Menschen etc. sind Ausnahmen von der Farb/Metall-Regel gestattet. Denn sie kollidieren immer entweder mit dem Rest vom Objekt oder mit dem Hintergrund, egal wie man es dreht und wendet.

Mißverständnisse
Die meisten sog. Ausnahmen von der Farbregel lassen sich trivial erklären: Solche "mißfarbenen" Wappen kamen in späterer Zeit dadurch zustande, daß auf alten Vorlagen Veränderungen durch chemische oder mechanische Prozesse stattgefunden hatten.

Historisch gewachsene mehrfeldrige Wappen
Was dagegen etwas ganz Anderes ist und eine echte, legitime und häufige Ausnahme, sind mehrfeldrige Schilde, die durch Wappenvereinigung entstanden sind, sei es als Amtswappen, durch Heirat, durch Herrschaftsvergrößerung oder durch Erweiterung der Ansprüche. Das ist eine legitime Ausnahme. Auch hier können wir die oben getroffene Aussage, daß das Nebeneinander weniger schlimm sei als das Aufeinander dahingehend interpretieren, daß innerhalb jedes Einzelfeldes alles korrekt sein muß (Aufeinander), während die Zusammenstellung der Einzelfelder zu einem Gesamtwappen häufig nicht zu beeinflussen ist (Nebeneinander). Beispiele:

Es gibt auch Fälle mit mehreren Feldern, wo man durch eine andere Verteilung der Einzelfelder im Komplexwappen in Bezug auf die Farbregel ein besseres Ergebnis hätte erzielen können. Doch eine solche willkürliche Umverteilung war oft nicht möglich, weil die Felder entsprechend ihrer Wertigkeit von oben nach unten, von rechts nach links einsortiert wurden, und die Wertigkeit ergab sich aus der Stellung im Reich, z. B. aus der Reihenfolge auf der Reichsfürstenbank o.ä. Da war es aus damaliger Sicht wichtiger, die Ordnung im Reich korrekt wiederzugeben, als die Befindlichkeiten der Farbregel-Enthusiasten zu berücksichtigten, und die Herolde gingen dabei völlig d'accord.

Nehmen wir als Beispiel das Wappen von Franz Wilhelm Reichsgraf von Wartenberg (1.3.1593-1.12.1661), einem der bedeutendsten Kirchenfürsten seiner Zeit und einem der herausragendsten Vertreter der deutschen Gegenreformation. Er war 1604 Propst zu Altötting, 1614-1640 Propst zu München, 1617 Domherr zu Regensburg, 1619 Domherr zu Minden, Verden, Köln und Freising, 1619 Dompropst zu Regensburg, 1621 Präsident des Geheimen Rates und Obristhofmeister des Kölner Kurfürsten, 27.10.1625/27.1.1627/8.12.1636-1661 Fürstbischof von Osnabrück, 1629/1633-24.10.1648 Bischof von Minden, 1630-24.10.1648 Bischof von Verden, 1633 Bistumsadministrator von Hildesheim, 1629 Propst des Stifts St. Cassius in Bonn, 1621-1640 kurkölnischer Premierminister, 9.11./15.12.1642-1649 Koadjutor des Fürstbischofs von Regensburg, 1645-1661 Apostolischer Vikar für Bremen und schließlich 12.4.1649-1661 Fürstbischof von Regensburg. Die Daten sind vor dem Hintergrund des Dreißigjährigen Krieges im Detail komplex. 1643-1648 vertrat er die Interessen von insgesamt 17 katholischen Stiften und Abteien bei den Verhandlungen zum Westfälischen Frieden. Ihm ist die energische Durchsetzung und Durchführung des Restitutionsediktes zu verdanken, wodurch er 4 Domkirchen, 15 Kollegiatskirchen, 148 Klöster und eine große Zahl von Pfarreien zurückgewinnen konnte. Im Jahre 1660 wurde er zum Kardinal ernannt.

Sein ab 1649 geführtes Wappen ist wie folgt aufgebaut (vgl. Gatz und zeitgenössische Darstellungen, danach obige Abb.): Geviert mit Herzschild, Feld 1: in Rot ein silberner Schrägbalken (Hochstift Regensburg), Feld 2: in Silber ein rotes Rad (Hochstift Osnabrück), Feld 3: in Rot zwei schräg gekreuzte silberne Schlüssel (Hochstift Minden), Feld 4: in Silber ein schwebendes schwarzes Nagelspitzkreuz (Hochstift Verden), Herzschild: silbern-blau schräggerautet, belegt mit einem rotgezungten goldenen Löwen (Familienwappen Wartenberg). Trotz des Verlustes der Hochstifte Verden und Minden im Westfälischen Frieden führte Graf Wartenberg die betreffenden Wappen weiter.

Jeder Farbregel-Enthusiast wird sagen: Um Gottes Willen, warum stellt er zweimal rote Felder und zweimal silberne Felder direkt übereinander? Das hätte man doch so einfach lösen können, indem entweder die beiden oberen Felder oder die beiden unteren Felder ihre Plätze tauschen! Warum hat er das nicht gesehen? Irrtum: Die einzelnen Felder des Hauptschildes sind nach Wichtigkeit und Rangfolge angeordnet, nicht nach farblichen Gesichtspunkten, deshalb kommt es zu einer unschönen Doppelung der jeweiligen Feldfarben übereinander.

Zusammenfassung

Literatur, Links und Quellen:
Heinrich Hussmann: Über deutsche Wappenkunst: Aufzeichnungen aus meinen Vorlesungen, Guido Pressler Verlag, Wiesbaden 1972
Wappenfibel, Handbuch der Heraldik, hrsg. "Herold", Verein für Heraldik, Genealogie und verwandte Wissenschaften, Verlag Degener, Neustadt 1981
Walter Leonhard: Das große Buch der Wappenkunst, Bechtermünz Verlag 2000, Callwey Verlag 1978
Georg Scheibelreiter: Heraldik, Oldenbourg Verlag Wien/München 2006, ISBN 3-7029-0479-4 (Österreich) und 3-486-57751-4 (Deutschland)

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