Bernhard Peter
Wappen aus dem Codex Manesse

Einleitung: Die sog. Manessesche Liederhandschrift

Der Codex Manesse, auch Große Heidelberger Liederhandschrift genannt, ist die bedeutendste Sammlung von Liedern des Hochmittelalters in Zentraleuropa. Der Codex wurde wahrscheinlich vom Ratsherrn Rüdiger von Manesse (1252–1304, aus einer alten Züricher Patrizierfamilie, einst wohnhaft in der Kirchgasse 33. Stammsitz der Familie war die Burg Manegg oberhalb von Leimbach bei Zürich, daher der Name Manesse) und seinem Sohn Johannes von Manesse (Kustos der Propstei, gest. 1297) als Sammlung höfischer Lyrik im Zürich des frühen 14. Jahrhunderts in Auftrag gegeben. Der Codex besteht aus 426 Pergamentblättern im Format 35,5 x 25 cm.

Der Codex hat eine weite Reise hinter sich: Um 1575/80 war er im Besitz eines flämischen Sammlers, dann erwarb ihn der Freiherr Johann Philipp von Hohensax (gest. 1596), 1607 kam die Handschrift in die Büchersammlung am kurfürstlichen Heidelberger Hof, der Bibliotheca Palatina, danach kam er in den Besitz des französischen Gelehrten Jacques Dupuy, welcher seine Sammlung dem König von Frankreich vermachte, wodurch der Codex in die königliche Bibliothek in Paris kam, erst 1888 wanderte er nach Heidelberg zurück und befindet sich heute im Besitz der dortigen Universitätsbibliothek.

Die Manessesche Liederhandschrift ist das Ergebnis eines komplexen, nie abgeschlossenen Sammelvorgangs. Weder die Texte noch die Bilder sind in einem Zuge eingetragen, manches wurde umsortiert, es gibt Lücken, ein Teil der Seiten ist für Nachträge reserviert. Man geht davon aus, daß 110 Autoren den Grundstock bildeten und zu Beginn des 14. Jh. angelegt wurden. Bis zur Mitte des 14. Jh. kamen noch 30 Autoren als Nachträge hinzu, und es war noch Platz für noch mehr vorgesehen.

Nicht nur wegen der Liedersammlung hat die Schrift Berühmtheit erlangt, sondern vor allem auch wegen seiner 138 Miniaturen, die die Autoren der einzelnen Lieder in ganzseitigen idealisierten Szenen darstellen, oft mit Wappen und Helmzier, da die Minnesänger typischerweise aus dem Adel bzw. Dienstmannengeschlechtern entstammten. Die Miniaturen illustrieren das höfische Leben der Zeit und zeigen Ritterspiele und Kampfesszenen, Minnedienst und Alltagsszenen. Sie sind ein einzigartiges Dokument oberrheinischer gotischer Buchmalerei und eine beispiellose Quelle unserer Vorstellung von ritterlichem Leben und Zeitvertreib.

Ungeachtet des Wertes der Handschrift für das Studium der Lyrik des Minnesangs ist der Wert für die Heraldik durchaus kritisch zu sehen. Nicht aus den Augen verloren werden darf die Tatsache, daß es sich in erster Linie um ein literarisches und nicht um ein heraldisches Werk handelt, anders als z. B. bei der Züricher Wappenrolle. Einige Personen lassen sich historisch sehr wohl belegen, auch ihre dargestellten Wappen, bei anderen tappt die Forschung auch heute noch im Dunkeln, ja bei einigen idealisierten Darstellungen könnte es sich durchaus um eine fiktive Person oder auch um einen Sammler von Liedern handeln. Die Zuordnungen von Personen und Wappen ist manchmal nicht zu belegen, auch gibt es Widersprüche in den Darstellungen im Vergleich zu anderen Wappensammlungen. Mangels Beweisen sei betont, daß die Miniaturen in erster Linie illustrieren sollen und nicht ein Rechtsdokument wie eine anläßlich eines Turnieres erstellte Wappenrolle z. B. darstellen.

Zur Darstellung der Wappen ist zu erwähnen, daß die Farbgebung durchaus interpretationsfähig ist. Insbesondere hat die Farbe "Schwarz" in vielen Fällen zu Mißverständnissen geführt - meist handelt es sich um Silber, das im Laufe der Zeit oxidiert ist und schwarz angelaufen ist. Heute ist es üblich, diese Farbe als weiß darzustellen. Im Zweifelsfall richte ich mich nach der Regel, daß nie zwei Farben und zwei Metalle aufeinander vorkommen (außer metallische Gegenstände), denn diese Regeln waren den Illustratoren mit Sicherheit geläufig. Als Musterbeispiele für die klare und übersichtliche Gestaltung, für die einfache und deutliche Aussagekraft früher Wappendarstellungen habe ich im folgenden einige Wappen aus den Miniaturen nachgezeichnet, wobei ich den gestalterisch möglichen Spielraum auch gerne ausgeschöpft habe, ohne die Richtigkeit der Wappenschild-Darstellung dabei zu gefährden. Einige Details bedürfen auch einer Bereinigung, z. B. das rote Band des Heinrich von Breslau gehört sicher nicht zum Blason, die Damaszierungen in den silbernen Flächen sind unnötig, die Farbe Silber wurde herausgearbeitet, wo heraldisch nötig etc. Natürlich ist dabei auch Vieles Interpretation - wer es besser weiß, setze sich gerne mit mir in Verbindung, ich freue mich über jede konstruktive Kritik!

Und nun wünsche ich viel Spaß bei der Betrachtung der klaren Schönheit, der wirkungsvollen Aussagekraft reduzierter Formen, die in so deutlichem Kontrast zu den Schöpfungen späterer Jahrhunderte stehen. Hier kann man noch die nonverbale Kommunikation klarer Zeichen erleben.

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Literatur:
Manessesche Liederhandschrift, Codex Manesse.
Zangemeister, Karl (Hrsg.): Die Wappen, Helmzierden und Standarten der Grossen Heidelberger Liederhandschrift (Manesse-Codex), Görlitz / Heidelberg 1892.
http://digi.ub.uni-heidelberg.de/cpg848
http://www.manesse.de/manesse0-9.shtml

© Copyright Text, Graphik und Photos: Bernhard Peter 2006
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